Wenn Beziehungen schwierig werden –

warum „toxisch“ keine Antwort ist


Der Begriff „toxisch“ wurde ursprünglich in den 80er-Jahren geprägt, im Zusammenhang mit „toxischer Männlichkeit“. Gemeint waren damit bestimmte Verhaltensweisen und Selbstbilder von Männern, die auf patriarchalen Idealen wie Aggressivität, Dominanz und emotionaler Härte beruhen und in der Folge destruktiv wirken können - auf Männer selbst, auf Frauen, auf die Gesellschaft. Schon hier zeigte sich aber ein problematisches Muster: Mit dem Begriff „toxisch“ wurden nicht konkrete Verhaltensweisen beschrieben und eingeordnet, sondern ganze Männlichkeitsentwürfe in eine Schublade gesteckt. Statt differenziert zu betrachten, welche Dynamiken warum entstehen, wurde pauschal verurteilt. Das mag zwar Aufmerksamkeit erzeugt haben, aber für das Verstehen und Verändern von Mustern war es wenig hilfreich. 


Erst später hat sich der Ausdruck auf Beziehungen ausgeweitet. Besonders ab 2015 gewann er in der Popkultur stark an Bedeutung, vor allem in sozialen Netzwerken und Ratgeberliteratur und ist zu einem festen Schlagwort geworden. 

Heute beschreibt „toxisch“ in diesem Kontext meist Freundschaften oder Partnerschaften, die von schädlichen Dynamiken geprägt sind. Auf den ersten Blick wirkt das wie eine praktische Abkürzung. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt der Begriff vage und hat erhebliche Nachteile. „Giftig“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Ein Mensch tut einem anderen nicht gut. Auch wenn das in vielen Fällen zutrifft, ist es problematisch, Menschen selbst mit einem solchen Label zu versehen. Denn aus psychologischer Sicht ist „toxisch“ pauschalisierend, pathologisierend und verengt komplexe Beziehungsdynamiken auf Schuld- und Opferrollen. 


Diese Zuschreibung hat Konsequenzen. Wer eine Beziehung oder einen Menschen als „toxisch“ bezeichnet, zeigt mit dem Finger auf das Gegenüber und steckt es in eine Schublade. Damit gehen zwei Dinge verloren: die Möglichkeit, Verhalten differenziert zu verstehen, und die Chance auf Veränderung. Statt Entwicklung entsteht Stillstand und eine Verhärtung der Fronten. 

Hinzu kommt, dass die Bezeichnung „toxisch“ häufig mit anderen Schlagwörtern vermischt wird, allen voran mit „narzisstisch“. Zwar gibt es die narzisstische Persönlichkeitsstörung als klinische Diagnose, doch der populäre Sprachgebrauch hat mit dieser Definition nichts zu tun. Wer sein Gegenüber pauschal als „narzisstisch“ bezeichnet, weist die Verantwortung komplett von sich und verstärkt gleichzeitig die eigene Hilflosigkeit: „Wenn der oder die andere so ist, kann ich ja nichts tun.“ Genau das hält Menschen in einer Opferrolle fest. 


Aus diesen Gründen sind Begriffe wie „toxisch“ oder „narzisstisch“ in ihrer alltäglichen Verwendung wenig hilfreich. Sie vereinfachen stark und versperren den Blick auf das Wesentliche: die Beziehung als Resonanzraum. 

Denn jede Beziehung ist ein Zusammenspiel zweier individueller Bindungsgeschichten. Zwei Menschen treffen aufeinander, mit ihren unterschiedlichen Prägungen, Bedürfnissen und Persönlichkeiten. Schwierigkeiten und Konflikte sind in diesem Sinne kein Beweis für „Giftigkeit“. Sie sind Ausdruck von inneren Mustern, Erfahrungen, Ängsten und Schutzstrategie, die aufeinandertreffen. 



Beziehungen leben vom ständigen Wechsel zwischen Gemeinsamkeit und Unterschied. Sie sind ein wechselseitiges Zusammenspiel zwischen zwei oder mehr Menschen, geprägt durch Gefühle, Gedanken, Kommunikation und Handlungen. Wechselseitig bedeutet, dass eine Beziehung nur im Miteinander entsteht – durch Austausch und Resonanz. Eine Beziehung ist kein statischer Zustand, sondern ein lebendiger Prozess: Wir suchen Nähe, entdecken Verbindungen, teilen Erlebnisse. Gleichzeitig stoßen wir auf Differenzen. Gerade diese Unterschiede bergen das Potenzial für Wachstum. Sie laden uns ein, bewusst miteinander in Kontakt zu treten, Unterschiede zu benennen und gemeinsam Wege zu finden. 

 

Kurz gesagt: Beziehung beschreibt die Art, wie Menschen miteinander in Verbindung treten, sich gegenseitig wahrnehmen und beeinflussen. Labels wie „toxisch“ oder „narzisstisch“ verhindern diesen Prozess, weil sie Komplexität reduzieren und Unterschiede abwerten, statt sie als Lern- und Entwicklungsfeld sichtbar zu machen.